Über die Musik

„Die Würde der Kunst erscheint bei der Musik am eminentesten, weil sie keinen Stoff hat, der abgerechnet werden müsste. Sie ist ganz Form und Gehalt und veredelt alles, was sie ausdrückt.“
(Johann W. Von Goethe, Maximen und Reflexionen)

Mit der Musik begegnen wir den von uns unabhängigen physikalischen Gesetzen der Akustik in Form von Tonschwingungen. Diese wirken auf uns und können unsere Emotionen anrühren. Die Musik ist in der Lage, in uns Gefühle wie Freude, Trauer oder auch Aggression zu wecken. Ohne dass sie selbst freudig, traurig oder gewalttätig wäre, bringt sie die entsprechenden Seiten in uns zur Resonanz, zum Mitschwingen. Die Naturgesetze rühren uns über den Umweg der Musik im Herzen an. In etwas überhöhter Sprache könnte man sagen, dass wir eine Verbindung mit den ewigen Grundgesetzen der Schöpfung empfinden, die für uns durch die Musik erfahrbar werden. 

Der Komponist ermöglicht uns nun diese Erfahrung. Er fischt seine Ideen aus dem von der Natur bereitgestellten, unendlichen Ozean der musikalischen Möglichkeiten. Er lässt sich inspirieren, um  das musikalisch Mögliche zu erkennen. Die physikalischen Gesetze der Schwingungen sind die Grundlagen, der Mensch aber der Schöpfer der Musik, die er in geordneter Form mit Hilfe der Notenschrift festhält.

Der interpretierende Künstler versucht, die Idee der Komposition aus den Noten herauszulesen, zu erfassen und diese mit Hilfe seines Instrumentes darzustellen und dem Hörer zu vermitteln. Er begibt sich beim Spiel von Werken aus verschiedenen Epochen auf eine Reise durch die Jahrhunderte und die der eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten, und lernt so auch die eigenen Grenzen zu erkennen.

Der Hörer wird nun seinerseits versuchen, diesen Interpretationsversuch aufmerksam nachzuvollziehen und gegebenenfalls mit seiner eigenen, schon vorhandenen Vorstellung zu vergleichen und in Einklang zu bringen. Er kann eine Interpretation begrüßen und annehmen, oder sie zurückweisen und ablehnen. 

Eine andere Möglichkeit, sich als Hörer der Musik zu nähern, ist, sich ihr einfach hinzugeben, sie ohne beurteilende und ordnende Gedanken zu genießen. Vergleichbar ist diese Art zu hören mit dem Genuss eines guten Essens, bei dem wir uns auch nicht immer fragen wollen, welche Zutaten der Koch benutzt und wie er sie zubereitet hat.

Für mich lässt sich ein Musikstück als ein lebendiges Wesen mit Anfang und Ende, mit Entstehen und Vergehen, mit einer dem Leben ähnlichen Entwicklung begreifen. Ein Wesen nur aus Energie bestehend, die der Künstler einbringt, die über das Instrument vermittelt und vom Hörer aufgenommen wird.

Ein weiterer Reiz im Umgang mit der Musik liegt für mich in der Nähe, die ich als Musizierender mit dem Komponisten empfinde. Es ist eine rein geistige Nähe mit seiner Person. Durch die Beschäftigung mit seiner Musik nähere ich mich seinem Denken und Fühlen. Dieses wird durch die Beschäftigung mit seinem Werk zu einem Teil von mir. Diese emotionale Kommunikation mit einem Menschen, der vielleicht schon seit Jahrhunderten nicht mehr physisch existiert, mit dem wir aber heute noch mit Hilfe seiner Musik mitfühlen können, ist eine faszinierende Tatsache, die bei anderen Künsten auch möglich ist, aber bei der Musik am „eminentesten (erscheint), weil sie keinen Stoff hat, der abgerechnet werden müsste. Sie ist ganz Form und Gehalt und veredelt alles, was sie ausdrückt.“

Um die Quintessenz aus dem Gesagten zu ziehen, möchte ich ich mich zum Schluss noch etwas einfacher ausdrücken:  Niemand auf der Welt braucht Musik. Sie ist für unser Leben nicht notwendig und letztlich überflüssig. Wer aber der Musik Raum gibt, der macht sein Leben durch diesen Überfluss reicher und schöner.